Warum beschäftigst Du Dich heute mit Deiner Kriegsdienstverweigerung von 1972?

Vor drei Wochen hatte ich nach einer Gallenblasen-Operation gespürt, daß ein tiefer Schmerz in mir ist, nicht als Kriegsdienstverweigerer anerkannt worden zu sein. Heute kann ich klarer sehen, was ich damals nicht sehen konnte. Ich hatte nicht das Wissen, staatliche Vorgaben als politische Winkelzüge zu durchschauen. Außerdem ist eine Reflektion eine gute Gelegenheit, die eigenen Irrungen und Wirrungen anzuschauen. Natürlich habe ich vor allem den Wunsch, mich von dem schweren Trauma, das mir die Bundeswehr angetan hat, zu befreien.

Warum wolltest Du den Kriegsdienst verweigern?

Die Antwort ist ganz einfach. Ich wollte nicht töten. Das würde mir heute als Grund vollkommen ausreichen.

Ich will nicht töten. Ich werde nicht töten. Das ist mein Wille. Kein Mensch hat das Recht, mich gegen meinen Willen zum Töten zu zwingen. Kein Mensch hat das Recht, meine Menschenwürde zu mißachten, kein Staat darf meinen Willen in Frage stellen. Keine Macht darf mich gegen meinen Willen zum Töten abrichten.

Damals dachte ich, daß die Formulierung meines Willens nicht ausreichend genug wäre, um andere Menschen zu überzeugen, daß ich ein Kriegsdienstverweigerer bin. Heute weiß ich, daß in mir das Wissen meiner Vorfahren ist. Deswegen wußte ich genau, was Krieg bedeutet. Ich wußte, daß ein Soldat kein Bürger in Uniform ist; der Soldat ist nichts anderes als eine Marionette, eine Kampfmaschine, ein Mörder.

Was hältst Du von der Gewissensprüfung in Deinen Verhandlungen?

Das war eine absolute Farce. Ein bezahltes Spiel für Sadisten. Psychoterror von Nazis, die schon im Naziregime Unrecht gesprochen haben. Alle Menschen, die gegen den Kriegsdienst waren, wußten, daß sich Gewissen nicht prüfen läßt. Warum dann nicht von allen Kriegsdienstgegnern ein klares Nein zu einem undemokratischen Fassadenspiel? Das hat mich damals stark verunsichert.

Beispielsweise befürwortete die Evangelische Kirche staatliches Morden und gleichzeitig Kriegsdienstverweigerung. Diese Schizophrenie durchschaute ich nicht; erst nach der Verweigerung habe ich erfahren, daß die beiden christlichen Großkirchen die Faschisten und ihren Angriffskrieg gesegnet haben.

Welche Vorstellung hattest Du von Gewissen?

Mit achtzehn Jahren lenkten mich mein Wille und mein Gewissen. Aus der Absicht, nicht Töten zu wollen, so dachte ich mir, entwickelt sich das eigene Leben. Es entsteht Achtsamkeit gegenüber allen Lebewesen, gegenüber den Menschen, den Tieren und den Pflanzen. Ich habe mir immer die Frage gestellt, ob ich wirklich zerbrechen würde, wenn ich einen anderen Menschen töten würde. Diese Frage konnte ich mir selbst nicht beantworten.

Heute glaube ich, daß man sich selbst einen sehr schweren Fehler verzeihen kann. Was passiert, wenn ein Mensch einen Mord ehrlich bereut, weiß ich nicht. Diese Frage, ob man zerbricht oder nicht zerbricht, ist von der Anlage falsch gestellt. Es dreht sich um Respekt gegenüber einem Menschen, der nicht zum Töten ausgebildet werden will.

Als ich bei der Bundeswehr war, hieß es höhnisch, aus mir solle ein Mensch gemacht werden. Für diese Idioten bedeutet es, daß erst ein Mörder ein Mensch ist. Diese Verbrecher ziehen ihre Identität und ihre Kraft aus einem Berufsbild des Tötens; die emotionale Intelligenz ist jedoch gleich Null. All die Nazis wie Ex-Bundeskanzler Kiesinger oder Ex-Ministerpräsident Filbinger erschienen in der Öffentlichkeit wie Menschen ohne Gewissen; ihnen ist es scheinbar gelungen, nicht zu zerbrechen. Aber sollten das meine Vorbilder sein?

Was denkst Du über die Bundeswehr?

Das war und ist nicht meine Welt. In jeder Armee soll ein Mensch, der sich zum Humanistischen entwickeln möchte, gebrochen werden. Denn erst das entmenschlichte Wesen kann zum Mörder werden; Kadavergehorsam und Befehlsstrukturen sind notwendige Grundlagen, von Mördern ersonnen, um Mörder zu rekrutieren.

In einem demokratischen Staat dürfte es keine Gewissensprüfung für Kriegsdienstverweigerer geben. Jedoch müsste – sarkastisch formuliert – für Menschen, die töten wollen, die Zwangseinweisung in ein Irrenhaus erfolgen. Daraus ergibt sich wiederum die Überlegung, daß eine Armee ein staatlich gefördertes Irrenhaus ist.

Das klingt nach einer politischen Verweigerung.

Ja, das stimmt. Wer sich mit dem Kriegsdienst beschäftigt, kommt nicht umhin, die Frage nach der eigentlichen Macht zu stellen. Die Kriegsmaschinerie verfügt über die Macht, junge Menschen zu terrorisieren, um Krieg in andere Länder wie Jugoslawien oder Afghanistan zu bringen. Das fängt an mit der Musterung, die in Wirklichkeit eine Zwangsmusterung ist. Das geht weiter mit Strafverfolgung und Mißhandlung durch Isolationshaft. Mehr als fünf Jahre kann der staatliche Terror mit Verfahren und Gefängnisstrafen dauern. Das ist nicht normal. Das ist pervers.

Diese Macht war damals schon bekannt; und das Wissen löste auch Angst aus. Der übermächtige Gegner, das war ja nicht nur die Armee, die von alten Nazis aufgebaut wurde; nein, das war der gesamte Staatsapparat. Für mich zeichnete sich Anfang der siebziger Jahre ab, daß sich der Staat nur vordergründig demokratisch gibt. Also stellte ich mir die Frage: Was ist das für ein Staat, in der Rüstungsproduktion stattfindet und gewissenslose Unternehmer von der Bundesregierung mehr oder weniger gedeckt werden?

Eine herrschende Klasse, so dachte ich damals – und warum sollte ich heute anders denken – benötigt eine Kriegsarmee. Ich hatte und habe keine Lust, Kanonenfutter für die Reichen zu sein.

Was wären die Folgen für Dich gewesen, wenn Du ehrlich argumentiert hättest?

Zunächst einmal wäre meine psychisch-dynamische und spirituelle Entwicklung rascher verlaufen. Wenn man sich mit Faschismus und Krieg auseinandersetzt, und das habe ich fast zwei Jahrzehnte intensiv gemacht, stellt sich irgendwann die Frage, welche Gewalt ist in mir. Nicht der Faschist in der äußeren Welt, sondern der innere Faschist wird Thema. Ich glaube, diese Frage nach der eigenen Gewalt läßt sich erst dann stellen, wenn der Mensch sich über äußere Strukturen bewußt geworden ist. Dann wird das Leben wirklich spannend.

Ich habe erst in den neunziger Jahren mit Oshos Meditationen gelernt, meine Wut und meinen Zorn anzuerkennen, auszudrücken (ohne anderen schaden zu wollen) und zu wandeln. Mit meinem jüngsten Sohn lerne ich es, in Würde mit einem anderen Menschen zu leben. Es gibt Vereinbarungen, die das Kind stärken. Dazu gehören beispielsweise ein Redestab, damit das Kind einen Raum herstellen kann, um in Ruhe zu argumentieren oder ein Wendestein, um den Erwachsenen zu erinnern, daß er auch schon mal Mist gemacht hat.

Als konsequenter Pazifist hätte ich einen anderen politischen Weg genommen. Durch die Nichtanerkennung als Kriegsdienstverweigerer radikalisierte ich mich; durch den alltäglichen Psychoterror in der Bundeswehrzeit sagte ich dem Krieg den Krieg an. Doch ich wußte nicht, daß ich mich in eine gefährliche Entwicklung begab. So entfremdete ich mich lange Zeit von der Liebe. Mein tiefster seelischer Schmerz ist entstanden, weil ich es zugelassen habe, Soldat zu werden. Das habe ich mir selbst noch nicht verziehen.

Ich hätte mich nicht zum Kriegsdienst zwingen lassen sollen. Es wäre besser gewesen, schon 1972 die Vorbereitungen für eine Flucht nach West-Berlin zu treffen. Ich glaube, wenn ich mutig genug gewesen wäre, mich gegenüber anderen Menschen zu öffnen, meine tiefe innere Verzweiflung einzugestehen und mitzuteilen, hätte ich Mittel und Wege gefunden, ein anderes Leben zu leben. Besser als die Soldatenzeit wäre es allemal geworden.

Heute ist es mein innigster Wunsch, ohne Gewalt zu leben. Das ist Ziel und Weg zugleich.

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Zum besseren Verständnis einige biografische Stationen:

1954 geboren in der Kriegsstadt Wilhelmshaven

1972 Antrag auf Kriegsdienstverweigerung

1974 Nichtanerkennung in der 2. Instanz

Bundeswehr 1974/75.

Ab 1973 Aktivist beim KB Nord, ab 1974 Mitglied der KPD/ML bis 1983.

Studium der Sozialpädagogik in Bremen 1979 bis 1983.

Freier Journalist und Fotograf ab 1983.

Hatha-Yoga ab 1990

Osho-Sannyas-Celebration 1996

Reiki-Meister seit 2006

Kundalini-Yoga ab 2007.

Ein Gedanke zu “Eine Armee ist ein Irrenhaus

  1. Man kann in bestimmten Lebensphasen nur entsprechend seiner aktuellen Entwicklungsstufe reagieren/agieren. Was ich sagen will, „manches geht einfach noch nicht“. Im Rückblick ist alles so viel klarer, in der extremen Situation selbst eine Überforderung.
    Schön, dass Du wieder da bist. Beeindruckend wie ehrlich Du Deine Vergangenheit aufarbeitest.
    Alles Gute Dir und Deinen Lieben.
    Andrea

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